Der Tag, an dem ich meine Lust zur Prio 1 machte
Jahrelang kannst du daran arbeiten, einen Traum wahr werden zu lassen. Und kurz bevor du ihn realisiert hast verstehen: Es war der falsche Traum. So ging es mir mit meinem Wunsch nach Sex.
Mein ganzes erwachsenes Leben hatte ich in Beziehungen nicht sonderlich viel Lust auf Sex. Meine Partner wollten meistens mehr als ich. Bis ich den Mann fand, den ich heiraten wollte. Mit diesem Mann wollte ich plötzlich a-l-l-e-s erleben. Und ich wollte sogar noch mehr mit ihm schlafen, nachdem er mir in den ersten Wochen unseres Kennenlernens sagte:
„Du bist mir zu wertvoll, um gleich mit dir ins Bett zu gehen. Warte.“
Mein Verlangen stieg und mit jedem Treffen wurde ich hungriger. Als es endlich soweit war und wir unsere erste Nacht miteinander verbrachten, passierte aber etwas Seltsames. Unsere Vereinigung war gar nicht so magisch, wie ich sie mir vorgestellt hatte.
Verwirrung
Komisch. Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich probierte es nochmal. Und nochmal. Aber das prickelnde Gefühl, das ich in Vorfreude auf das ‚Event‘ hatte, stellte sich beim Event nicht ein.
Damals wusste ich nicht, was ich heute weiß: Dass es Menschen gibt, für die die Vorfreude auf Sex der Turn-on ist, nicht aber der Geschlechtsverkehr selbst. Mit jeder neuen Interaktion wurde also meine Lust immer gedämpfter und nach einigen Monaten war sie nur noch eine blasse Erinnerung.
Wie konnte das sein? Ich liebte doch diesen Mann. Ich wollte Kinder mit ihm. Aber wie sollen wir Kinder bekommen, wenn wir nicht miteinander schlafen?
Meine Motivation, „es zu schaffen“, Sex zu wollen, war groß. Entsprechend hoch war meine Investition in diese Beziehung und in unsere Sexualität. Mehr darüber liest du in meiner Vita oder auch in dem Beitrag „Was mich Männer über Grenzen lehrten“.
Haben und Nichthaben
Fast forward zum vierten Jahr unserer Beziehung. Hunderte – oder waren es tausende? – Stunden Therapien, Tantra-Seminare, Paarwochenenden, Sexual- und Beziehungscoachings später, hatte ich viel Scham und jede Menge Beziehungsthemen aufgearbeitet. Aber ich hatte immer noch keine Lust auf Sex.
Ich hatte Lust zu tanzen.
Ich hatte Lust mich zu bewegen.
Ich hatte Lust rauszugehen in die Natur.
Ich hatte Lust mich massieren und berühren zu lassen.
Ich hatte Lust Blumen geschenkt zu bekommen.
Ich hatte Lust zu hören, dass ich geliebt bin, ganz unabhängig davon, was ich tue.
Und ich hatte Lust auf Sinnlichkeit.
Aber ich hatte keine Lust auf Hollywood-Sex.
Keine Lust auf Geschlechtsverkehr.
Ich hatte sogar eine sogenannte „sexuelle Funktionsstörung“ entwickelt, die mir unbewusst half, eben keinen Sex zu haben: Vaginismus. Das ist der Fachbegriff für eine Vagina, die sich beim Einführen eines Penis, eines Fingers oder im fortgeschrittenen Stadium sogar eines Tampons unwillkürlich verkrampft und nicht mehr locker lässt.
Frauen mit Vaginismus erleben entweder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder danach, oder aber sie können gar keinen Geschlechtsverkehr haben, weil es die starke Verkrampfung der Vagina nicht zulässt.
Ich hatte also den damals noch verhassten Vaginismus, aber ich hatte seine Botschaft an mich, seine Funktion, seine Rolle noch nicht entziffert.
Ich war noch auf Mission, den Vaginismus „besiegen“ zu wollen. Deshalb arbeitete ich fleißig mit dem Arbeitsbuch von Claudia Amherd „Wenn die Liebe schmerzt“. Übrigens eine großartige Ressource, die ich jeder Frau mit Vaginismus empfehle.
Nur ich und die Dilatoren
Wenn du an Vaginismus leidest, kannst du dich auf verschiedenen Ebenen therapieren lassen: emotional-mental, seelisch, energetisch und rein körperlich.
Ich probierte – wie so oft – alles aus. Erzählen möchte ich hier allerdings von meinem körperlichen Ritual. Das bestand aus einer Stunde am Tag Zeit für Beckenbodentraining, Atemübungen und Dilatorentraining.
Dilatoren – so heißen diese Dildo-artigen Plastikteile, die es in unterschiedlichen Größen gibt, so dass vaginistische Frauen lernen können, ihre Muskeln Schritt für Schritt zu entspannen.
Ziel dieses Trainings ist, den Ringmuskeln in der Vagina beizubringen, dass die Reaktion auf etwas, was „reinkommt“ nicht automatisch „die Schotten dicht machen“ sein muss. Eine sogenannte Desensibilisierungs-Maßnahme.
Konkret beginnst du mit dem kleinsten Dilator und arbeitest dich Millimeter für Millimeter bis zum größten vor. Das Ganze kann Monate oder sogar Jahre dauern – je nachdem, wie fleißig du übst, und wie du deine Reise mental und emotional reflektierst.
Bis meine Vagina überhaupt etwas aufnehmen wollte, hat es mehrere Tage des Anklopfens und Wartens gebraucht.
Bis ich einen ganzen Dilator aufnehmen konnte, sind Wochen vergangen.
Und bis ich mich zu den dickeren Dilatoren durchgearbeitet hatte, waren es Monate.
Ist das nicht zum Verzweifeln? – Ja und Nein.
Wo bleibt denn das Happy Ending?
Natürlich habe ich manchmal gedacht „Wenn es in diesem Tempo weitergeht, werde ich wohl keine Periode mehr haben, bis ich einen Tampon einführen kann.“
Aber ich blieb motiviert, weil ich die Fortschritte jeder Übungsstunde dokumentierte. Nach acht Monaten und ca 200 Stunden Dilatorentraining war ich beim Dilator vier von fünf angekommen.
Ich war richtig stolz auf mich, als mein Partner mir verkündete: Er hält es nicht mehr aus. Er kann nicht mehr warten, bis ich mit Dilator fünf fertig bin.
Ich dachte, ich höre nicht richtig.
‚Ich stehe kurz vor dem Durchbruch. Vor drei Monaten hat er mir noch einen Heiratsantrag gemacht. Und jetzt will er aufgeben? Ausgerechnet jetzt?‘
Ein Teil von mir konnte das nicht glauben.
Ein anderer Teil von mir wiederum hatte angefangen zu verstehen, dass uns mehr trennte als nur die Tatsache, dass der Geschlechtsverkehr rein ‚technisch‘ nicht ‚funktionierte‘.
Was immer noch ungeklärt war, war die Frage: Wo ist denn eigentlich meine Lust?
Zwei Monate nach der Trennung
Ein leeres Zimmer. In der Mitte eine Matratze und daneben zwei Umzugskartons.
Das war der Start in mein neues Leben.
Ich war heilfroh, nach sechs Wochen Suche schon ein eigenes kleines Apartment gefunden zu haben (München!). Direkt am Tag der Vertragsunterzeichnung habe ich meine Siebensachen gepackt, um in meinen eigenen vier Wänden zu übernachten.
Das erste Gefühl in meinem neuen Bett war Erleichterung. Das zweite war unfassbarer Schmerz, tiefste Trauer.
Es war eine dunkle erste Nacht. Nicht nur äußerlich, auch innerlich.
Und an diesem tiefsten Tiefpunkt, an dem ich hin und her gerissen war zwischen der Perspektive, jetzt erst recht mein Glück zu finden und dem unerträglichen Trennungsschmerz, spürte ich, wie in mir etwas brodelt und wächst und sich den Weg an die Oberfläche bahnt.
Es war der Entschluss, ab jetzt nur noch meiner Lust zu folgen.
Nichts mehr zu tun, nur um andere zufriedenzustellen.
Ich nahm mein Notizheft und schreib hinein:
‚Ich bin nur für mich verantwortlich. Freude ist mein Geburtsrecht. Und ab heute ist meine eigene Lust meine Prio 1 im Leben.‘
Ab heute ist meine eigene Lust meine Prio 1 im Leben.
Kokon und Schmetterling
Die ersten Wochen nach dem Umzug waren hart. Ich hatte wenig Lust auf das normale Leben. Ich hatte nur Lust zu weinen.
Also habe ich geweint.
Ich habe mir das erlaubt – und entschieden, dass ich mich weder schlecht noch schuldig dabei fühle, dass ich Stunden um Stunden meines Lebens mit Weinen verbringe. Schließlich hatte ich auf nichts anderes Lust. Und meine Lust war jetzt meine Prio Eins.
Zwei Wochen später – das Universum hatte es schlau eingerichtet – begann meine Ausbildung zur GYROKINESIS-Trainerin. Das bedeutete: Neun Tage am Stück sechs Stunden pro Woche Sport.
Hatte ich Lust darauf? Ja.
Fiel es mir leicht, mich aufzurappeln? Nein.
Aber die Lust war da, also: Go for it.
Danach war ich nicht nur körperlich wieder gut in Schuss, sondern hatte auch wieder Kraft.
Ich tauchte tief in die Arbeit mit den Erotic Blueprints ein – das Konzept, das ich heute oft in meinen Sexualcoachings anwende – und entdeckte, dass es Menschentypen gibt, deren Zugang zur Erotik und somit zur sexuellen Lust, nicht über die Genitalien geht, sondern entweder energetischer Natur ist („Oh mein Gott, das war ich!“) oder durch sinnliche Erlebnisse („Endlich jemand, der mich versteht!“) oder über Dinge, die für sie Tabu sind („Verdammt, damit kann ich auch was anfangen!“).
Der Zugang zu Erotik und Lust läuft bei vielen Menschen gar nicht über die Genitalien.
Logisch machte ich meine ‚Hausaufgaben‘ und gab mich der Erforschung energetischer, sinnlicher, tänzerischer, musikalischer, olfaktorischer, taktiler und tabuisierter Genüsse hin.
Je mehr ich das tat, desto orgasmischer wurde mein Leben.
Mein Vaginismus zog sich immer mehr zurück. Ich tat nur Dinge, auf die ich Lust hatte, und sagte jedem Mann, mit dem ich intim wurde, dass ich nicht mit ihm schlafen werde. Wenn er damit einverstanden wäre, dann könnten wir andere Dinge machen.
Ich bin immer noch überrascht, wieviele Männer überhaupt nicht verstanden, was ich will, und wie leicht sie sich dennoch auf das Experiment eingelassen haben. Und es genossen haben.
Eines Tages erlebte ich unerwarteterweise sogar hochgenüsslichen Sex mit Penetration. Ja, auch das wurde dann möglich …
Und ich traf lauter neue Menschen, die meine Lebenslust anfeuerten.
Lustgebiete
In dieser Zeit habe ich so viel über Lust gelernt, dass ich gerade ein ganzes Buch darüber schreibe.
Doch was ich dir heute mitgeben möchte, meine zwei wichtigsten Learnings, sind:
1. Sex ist so viel mehr als das Spiel mit den Genitalien.
2. Erotische Lust und allgemeine Lust sind ein und dasselbe.
Wenn du oft Dinge tust, die du meinst tun zu müssen, dann ist dein Genusspotenzial sowohl sexuell als auch in deinem Leben noch lange nicht ausgeschöpft.
Und wenn du nicht genau weißt, wie du im Bett deine Lustkurve erhöhen kannst, dann könntest du auch im Leben mehr Lust und Leichtigkeit verspüren, als du es jetzt tust.
Auch dann, wenn du dich als sehr lebenslustiger Mensch einschätzt. Gerade dann!
Deine Lust
Wie gut weißt du, was dir Lust bereitet?
Kannst du dir vorstellen, dass für dich noch mehr Lust ‚drin‘ ist in diesem Leben?
Wenn ja, dann könnte ein Coaching dein nächster Schritt sein in ein Leben mit noch mehr Lust, Freude und Fülle.
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Jaaaa hab Lust drauf !
Ich bin gespannt…